Samstag, 2. November 2019

Neubeginn?


Jane Austen - Jagd auf das verschollene Manuskript

Von Kathleen Flynn

Die Autorin spielt mit der Idee, dass in naher Zukunft Zeitreisen möglich sind.
Diese Zeitreise zu Jane Austen beginnt mit so anschaulichen Schilderungen der Zeit um 1815 in England, dass die Lesenden in diese Zeit mitgenommen werden. Die Perspektive der Reisenden aus der Zukunft, für die der damalige Alltag so fremd ist, lenkt den Blick auf die Besonderheiten. Anlass der Zeitreise ist der Fund eines Briefes von Jane Austen mit Hinweisen darauf, dass sie doch noch ein Manuskript mehr als bisher bekannt, auch vollendet hat.
Durch das Buch zieht sich die Frage, inwiefern durch eine Zeitreise die geschichtliche Entwicklung verändert wird, weil es kaum möglich ist, das Leben der Personen, denen man in der Vergangenheit begegnet, nicht zu beeinflussen und es auch kaum möglich ist, sich selbst durch die Erlebnisse in der früheren Zeit nicht zu verändern. Jede Situation, jede Begegnung, eröffnet ein Wahrscheinlichkeitsfeld. Das heißt, dass es nicht nur eine, sondern mehrere mehr oder weniger ähnliche Entwicklungsmöglichkeiten gibt. Eines der wenigen Bücher in letzter Zeit, die ich in einem Zug ohne zwischendurch andere Bücher zu lesen, gelesen habe. Die Liebesgeschichten, die nach Ansicht der Erzählerin im Buch nicht so wichtig genug genommen werden sollten, wirken wenig überzeugend auf mich. Die Autorin hätte von mir aus dann auch darauf verzichten können.
Ob Fans von Jane Austen, die sich weit besser als ich in ihren Büchern und ihrer Biografie auskennen, das Buch mögen, kann ich kaum einschätzen. Es geht weniger um eine Annäherung an das Leben der realen Jane, als um eine alternative Wirklichkeit.

Schon gelesen?


Die fingierte Revolution
Bulgarien, eine exemplarische Geschichte
Von Ilija Trojanow

Dieses Buch ist aus westdeutscher Sicht verfasst. Es erklärt gut die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Beobachtungen, die ich auf meinen Reisen in Bulgarien gemacht habe und die Einzelheiten, die mir aus meinen Gesprächen mit Bulgaren vertraut sind. Die geschilderte Mafiaverstrickung gilt sicherlich in den anderen exkommunistischen Staaten in Osteuropa inklusive DDR und Rußland ähnlich. Der Autor ist mit vielen Welten unserer Erde vertraut. Einige Stationen: Geboren in Bulgarien, Schulzeit in Kenia, Studium in Deutschland, Jahre in Südafrika und Indien.


Eine Billion Dollar
Von Andreas Eschbach
Humorvoller Einstieg - hatten wir nicht auch Deutschaufsätze zu dem Thema zu verfassen: Was würdest Du tun, wenn Du plötzlich sehr sehr viel Geld hast? Zunächst habe ich immer alles schnell verschenken wollen, dann aber mich gefragt: Habe ich nicht doch eine größere Verantwortung, mitzubestimmen, was mit dem Geld geschieht, und darf mich also nicht sofort von der ganzen Summe trennen?
In dem Buch werden verschiedene Wege vorgestellt, wie die Hauptperson versucht, mit dem geerbten Geld die Welt, wenn nicht zu retten, so doch zu verbessern. So werde ich an die Träume meiner Jugend erinnert, an die Mitarbeit in Friedens- und Umweltinitiativen, an Literatur wie "Die Grenzen des Wachstums" von Meadows u.a. So wie ich erlebt habe, dass meine Jugendträume sich nicht so einfach verwirklichen lassen, so geht es auch der Hauptperson, die sich außerdem auch auf viele Irrwege begibt und zum Teil das Gegenteil des Geplanten erreicht. Es bleibt also nur, dass es keine große Lösung allein durch uns Menschen geben kann. Wir können keine gerechte Welt schaffen, aber wir haben die Aufgabe, uns für so viel Gerechtigkeit wie möglich einzusetzen.


Das Jesus-Video
Von Andreas Eschbach
Humorvoll entwickelte Idee - in den Details sicherlich nicht allzu ernst zunehmen, aber ein spannendes Lesevergnügen: ein bisschen Archäologie und ein bisschen Krimi. Das Fazit (dem ich nur zustimmen kann), dass die Herrschenden in Religion und Politik auch heute Jesus nicht akzeptieren würden, weil Jesus zu lebendig und zu menschlich ist, gibt es in der klassischen Weltliteratur schon bei Dostojewski (Der Großinquisitor).

Nur 160 Seiten? - Rezension


Briefe aus Kensington

Von Barbara Strohmenger

Erst dachte ich: Nur 160 Seiten? Das ist doch viel zu kurz für einen Roman, der soll doch mindestens 500 Seiten in miniwinziger Taschenbuchschrift enthalten. Aber das sind dann die Romane, die ich fast überfliege, oft nur einen Satz pro Seite lese. Aber bei diesen 160 Seiten lohnt es sich, jeden Satz zu lesen. Es ist ein ernstes Buch durch seine Themen. Es ist genauso ein politisches Buch wie ein Liebesroman wie auch die Beschreibung, wie eine junge Frau zum christlichen Glauben kommt. Sie kommt zum Glauben nicht wegen extremer persönlicher Erfahrungen, sondern weil sie sich in einer bestimmten Lebenssituation von der Botschaft ansprechen lässt. Sie kommt zum Glauben wegen der Kernbotschaften der Bibel durch Anregung von Freunden. Sie lässt sich auf das Wagnis des Glaubens ein - gestärkt durch die sich vertiefenden Beziehungen zu ihrem neuen Freundeskreis. Ich bin kein Fan von Liebesromanen, in denen Liebe mit Verliebtheit verwechselt wird und romantische Liebe  um Verliebtheit verkürzt wird. Aber in guten Krimis, die ich lese, ist es eben dann oft die sich entwickelnde Liebes- und Freundschaftsbeziehung, die mich mehr interessiert als die Krimihandlung. Krimis lese ich gerne wegen des Spannungsbogens.

In diesem Buch bietet  das Rätsel um den Absender der Briefe den Spannungsbogen, obwohl für mich als Leserin bald klar ist, wer von den bisher eingeführten Personen in die engere Wahl kommt, weil über ihn sowohl Sonja als auch die Leserin mehr erfahren als über die anderen neuen Freunde. Aber vielleicht ist der Absender jemand, den die Leserin noch nicht kennt? Vielleicht jemand aus Sonjas Vergangenheit? Aber bald wird klar, dass der Absender ihre gegenwärtige Situation kennt. Es wird klar, dass der Stil der Briefe zu einem der neuen Freunde am besten passt. Es wird außerdem deutlich, dass obwohl Sonja nicht weiß, wer der Absender der Briefe ist, sie eine besondere Freundschaft zu ihm entwickelt. Aber das diese besondere Freundschaft schon Liebe ist? Das Vertrauen in eine gemeinsame Zukunft ist auf beiden Seiten da. Sie haben eine gemeinsame Grundlage, gehen beide auf die Interessen des jeweils anderen ein, bewundern einander, sorgen sich umeinander und unterstützen sich. Wenn sie sich lieben und nicht nur verliebt sind, ist es auch gut, dass sie heiraten. Sie verloben sich, wünschen sich Sex miteinander, aber wollen bis zur Heirat warten.  Sie wollen einander vertrauen, dass es gut sein wird, in ihrer Ehe miteinander zu schlafen.  Ehe ist immer ein Wagnis, wenn es um mehr geht, als für einige Jahre eine schöne Zeit miteinander zu verbringen oder nur nicht alleine zu sein.

Urlaubslektüre


Pride and Prejudice

Von Jane Austen

Diesen Roman habe ich als Jugendliche mindestens einmal gelesen und später auch ab und zu darin geblättert. Für mich ist die Geschichte in erster Linie romantisch gewesen und wie bei so vielen Geschichten aus dieser Zeit habe ich mich geärgert, wenn die weiblichen Hauptfiguren nicht aus ihrer Zeit heraus konnten, obwohl sie selbständiger sein wollten. Hauptthema: Wie bekomme ich einen Mann. Hauptbeschäftigung: Tanzen auf Bällen. (Auch an einige Filmszene erinnere ich mich.)
Nichts gegen Tanzen, ob allein oder mit dem Lebenspartner (allein beim Wort gerate ich ins Träumen) aber als Lebensinhalt? Im Vorwort steht viel von Ironie. Das hat mich bisher immer irritiert. Die Ironie habe ich wohl erst auf dieser Reise entdeckt und verstanden. Beim Lesen der ersten Seiten habe ich herzlich gelacht und kam aus dem Lachen fast nicht mehr heraus. Ich habe entdeckt, wie absurd und lächerlich sich die Personen verhalten, die Hauptperson, die dies erkennt, die ich bisher aber idealisiert hatte (daher war ich auch vom Schluss enttäuscht), eingeschlossen. Trotzdem bleiben Jane und Lizzy liebenswert und auch die anderen Charaktere werden genau gezeichnet und dadurch interessant (wenn auch Lizzies Mutter und Darcies Tante unsympathisch bleiben).
Einen schönen Satz über die Liebe habe ich auch gefunden: "She began now to comprehend that he was exactly the man, who, in disposition and talents, would most suit her. His understanding and temper, though unlike her own, would have answered all her wishes. It was an union that must have been to the advantage of both; by her ease and liveliness, his mind might have been softened, his manners improved, and from his judgement, information, and knowledge of the world, she must have received beneft of greater importance. But no such happy marriage could now teach the admiring multitude what connubial felicity really was." Außerdem habe ich jetzt den Realismus in Ihrem Handeln entdeckt und bringe auch heute dafür Verständnis auf. Ohne Heirat gab es weder finanzielle Sicherheit noch eine gute gesellschaftliche Position. Wenn die Frauen das Beste daraus machen wollten, suchten sie eine Verbindung von Liebe und Sicherheit. (Ist dies denn heute soviel anders?) Für Lizzy wird dies möglich. Eine Mischung von Anziehung und Herausforderung gab es tatsächlich von Anfang an, aber nicht Sympathie. Die Sympathie ist durch Darcies Hilfe für ihre Schwester entstanden (so wie ihre größte Aversion, als er vermeintlich gegen Bekannte bzw. ihre andere Schwester agitiert hatte), weil so zum einen sein hilfsbereiter Charakter, seine Liebe für sie und sein Wille, die Heirat für sich und seinen Freund zu ermöglichen, indem er das Ansehen der gesamten Familie rettet, deutlich wird. Aber sie fühlt mehr als Dankbarkeit und Respekt. Sie ist wirklich gern in seiner Gesellschaft; sie unterhalten sich seit Beginn der Bekanntschaft immer wieder an den verschiedensten Orten auf langen Spaziergängen.
Mir ist diesmal auch besonders aufgefallen, dass die obere Gesellschaft früher ihre Parks tatsächlich zum Spazierengehen nutzte, so wie die Touristen heute. Ich hatte Lizzy viel wilder in Erinnerung, dabei ist sie stolz auf ihr gutes Benehmen und ihr Taktgefühl in Gesellschaft - oder ist dies wieder eine ironische Doppeldeutigkeit der Autorin? Denn es gibt zum Auftakt eine Geschichte, in der sie abgekämpft nach einer langen Wanderung beim Nachbarn eintrifft (die sie aber nur aus Mitgefühl unternommen hat) - damals beginnt Darcy sich zu verlieben - obwohl alle anderen sie ablehnen. Außerdem traut sie sich zu widersprechen.

Angefangen


Der Turm

Von Uwe Tellkamp

Seit der Wende warte ich auf Romane zu diesem Thema. Anfangs war ich davon ausgegangen, dass solche Romane doch seit Jahren unveröffentlicht in der Schublade der DDR-Autoren liegen müssten, dass die Kreativität ausbricht, um das unerwartete Erlebnis des Mauerfalls zu verarbeiten. Als ich selbst in den 80er Jahren bei einem Besuch in der DDR vor der Mauer stand, war ich geschockt von diesem Symbol des Eingesperrtseins. Daher habe ich damals den Mauerfall begrüßt und will auch heute nirgendwo eine Mauer.
Mit diesem Buch verstehe ich ein bisschen, warum der Mauerfall gerade bei den hier im Westen bekannten Schriftsteller(innen) eher eine Schreibblockade ausgelöst hat als eine Schreiblust. Die Intellektuellen hatten sich eingerichtet in der DDR und statt nun die Freiheit kreativ nutzen zu können, reiben sie sich nun im Alltag auf und versuchen, die neuen Herausforderungen zu bewältigen. Davon abgesehen, wer will schon wirklich lesen von den traurigen Geschichten aus dem DDR-Alltag? Als ich in den 90er Jahren vor den bunten Resten der Mauer auf der Westseite stand, saßen dort alte Männer, die erzählten, dass ihnen dort in der DDR Unrecht geschehen sei. Bis heute gibt es keine Wiedergutmachung für die, die zu Unrecht im Gefängnis saßen bzw. deren Familien keine Chance in der DDR bekommen haben. Es kann auch keine ausreichende staatliche Wiedergutmachung geben, denn mit Geld ist es nicht geschehen. Das Kapitel werden wohl erst die Urenkel aufarbeiten können....
Warum ich trotzdem noch nicht das gesamte Buch gelesen habe? Manche Passagen ziehen sich, so dass ich nach Anfang und Schluss nur einige Ausschnitte aus der Mitte gelesen habe.